Ganz egal, ob man zu den Putin-Verstehern gehört, die irgendwie mitfühlen, dass sich die Macht im Osten nicht aus einer Region verdrängen lassen will, die bis vor 25 Jahren zum Kernland der Sowjetunion gehörte und teilweise von einem Volk besiedelt ist, das sich russisch sieht. Egal auch, ob man sich zu den Obama- und Merkel-Verstehern rechnet, die Russland das Recht auf Einfluss auf sein „nahes Ausland“ absprechen, ihm einen Bruch des Völkerrechts und die Missachtung der Souveränität der Kiewer Umsturzregierung vorwerfen. Jenseits der – parteilichen, also verlogenen – Rechtfertigungen beider Seiten ist eines nicht zu übersehen: Es findet ein Krieg statt um die Frage, wem bzw. zu wem die Ukraine gehört. Deutschland, die EU, die NATO bestehen darauf, dass die Ukraine zum Westen gehört, und Russland dort nichts mehr mitzureden hat; die Moskauer Regierung kämpft um die Wahrung ihres Einflusses auf ihr Nachbarland, wenigstens um einen neutralen Pufferstaat zum Machtbereich der NATO. Den Bürgerkrieg im Donbass schüren beide Seiten mit Waffen, militärischem Personal, Luftaufklärung und politischer Rückendeckung.
Abgesehen davon, abgesehen auch von der Aufrüstung der baltischen Staaten und Polens, abgesehen schließlich von der Drohkulisse, die die NATO durch verstärkte Präsenz an den russischen Grenzen aufbaut, wollen USA und EU Russlands Macht vorerst nicht mit der Anwendung eigener Militärgewalt brechen, sondern mit Sanktionen: Sie setzen die Wirtschaft als eine Waffe ein und führen einen Wirtschaftskrieg, dem sie die Aufgabe zuweisen und die Leistung zutrauen, den Feind so zu schädigen, dass er sich sein außenpolitisches Auftreten nicht mehr leisten kann und seine Ansprüche aufgibt. Mit wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen wollen sie die zweitgrößte Atommacht des Globus in die Knie zwingen und, wie Obama sich ausdrückt, den Nachfolgestaat der Sowjetunion, der sich über zwei Kontinente erstreckt und in allen internationalen Aufsichtsgremien als Mit-Garant der Weltordnung agiert, auf Rang und Gewicht einer „Regionalmacht“ zurückwerfen.
Das gilt als besonnen: „Besser sie kappen Wirtschaftsbeziehungen, als dass sie schießen!“ Man hält sich an die Differenz zum blutigen Töten und Sterben im Staatsdienst und billigt damit den Zweck des Wirtschaftskriegs: Die Sanktionen sollen das Gleiche leisten wie sonst Bomben und Granaten; und sie stehen unter der Bedingung, dass sie das auch tun.
Kein bisschen wundert sich die öffentliche Meinung darüber, dass die Wirtschaftsbeziehungen – sonst der Inhalt, für manche auch die geschätzte Garantie des friedlichen Verkehrs zwischen den Staaten – nun als zerstörerische Macht- und Kampfinstrumente zum Einsatz kommen.
Dabei könnte die Verwendung der Wirtschaft als Waffe schon Fragen aufwerfen: Was ist das für eine Ökonomie, die als Machtmittel taugt? Was ist das für eine internationale wirtschaftliche Kooperation, deren Entzug nicht nur den Ausfall eines Nutzens, sondern den halben oder ganzen Ruin sogar großer Staaten bewirkt?
Und kann der Wirtschaftskrieg das wirklich? Was ist dran an den Stimmen, die ihn für problematisch halten und daraus den Schluss ziehen, dass Wirtschaftskrieg nicht reicht?
Der Vortrag bei der Sozialistischen Gruppe ist hier.
Veranstalter: Sozialistische Gruppe