„TTIP bringt mehr Wachstum!“ versprechen die verantwortlichen Politiker. Wem versprechen sie damit eigentlich was? Dass Löhne und Gehälter wachsen, ist nicht versprochen. Dass die Lebensverhältnisse für normale Menschen leichter, angenehmer, sauberer, gesünder werden, auch nicht. Wachsen soll „die Wirtschaft“, was die an Erfolgszahlen produziert. Was sie da hinkriegt, ist nach wie vor und mehr denn je eine Frage der Konkurrenz – zwischen den Firmen, und zwischen den Staaten, die für die Bilanzen der Wirtschaft ihres Landes Rücksichten fallen lassen wollen. Was also auf alle Fälle wachsen soll, das sind Reichweite und Schärfe eben dieser Konkurrenz. Der Konkurrenz, für die die Firmen in Europa, in Nordamerika und überhaupt weltweit ihr Personal auf wachsende Leistung trimmen und für die die zuständigen Politiker ihren Völkern einen gut durchorganisierten wachsenden Leistungsdruck bescheren.
Für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen wollen, was Staat und Wirtschaft mit ihnen anstellen, eine Gelegenheit, sich darüber Rechenschaft abzulegen – nein, nicht bloß, ob sie noch mehr davon haben wollen, sondern ob überhaupt diese Art von Leben. Denn warum soll man als normaler Mensch für eine Ökonomie des Konkurrenzkampfs der Firmen ums Geld der Welt sein?
Ach so, wegen des großen Segens, der damit verbunden und gleichfalls versprochen ist:
„TTIP schafft Arbeitsplätze!“ Zigtausende, heißt es. Und kaum versprochen, fangen kritische Experten das Nachrechnen an, ob es so viel wirklich werden. Aber was ist das überhaupt für ein Versprechen? Für den, der einen Arbeitgeber finden muss, damit er sich überhaupt einen Lebensunterhalt verdienen kann, enthält die schöne Verheißung eher eine Drohung, genau genommen sogar zwei:
Nr. 1: Wie dein „Arbeitsplatz“ aussieht, was du dort zu tun hast, was du dort verdienst, das liegt überhaupt nicht in deiner Hand. Das entscheidet sich im internationalen Konkurrenzkampf der Firmen, für den die demokratisch gewählten Machthaber gerade die Richt-
linien erlassen.
Nr. 2: Auf einen solchen Arbeitsplatz bist du zwar angewiesen, aber der Arbeitsplatz nicht auf dich. Ob es den überhaupt gibt, das entscheiden die Firmen im Interesse ihres grenzüberschreitenden Konkurrenzkampfes, für den demokratisch gewählte Politiker sich um die Richtlinien streiten.
Eine schöne Ansage also: Du, lieber TTIP-Bürger, hast die Not, an eine Verdienstquelle zu kommen – wir, die Verantwortlichen, schaffen und verwalten sie. Und ausgerechnet das soll ein unanfechtbar guter Grund sein, dafür zu sein – für das Funktionieren eines Ladens, in dem der normale Mensch die ehrenvolle Rolle des Abhängigen spielen darf, der Arbeit braucht!
Und – unter der Bedingung – soll auch das Folgende noch als Versprechen einleuchten:
„TTIP spart Kosten!“ Nämlich erstens den Arbeitgebern, den unentbehrlichen; zweitens Kosten für die Einhaltung von Vorschriften, die Politiker irgendwann einmal für nötig gehalten haben für ihr arbeitsfähiges Volk. Zwei umwerfende Gründe für TTIP. Der beste Grund heißt aber drittens: Diese Vorschriften sind, nach den Feststellungen der Unterhändler, eigentlich gar nicht dafür gut, was sie regeln – Gesundheitsrücksichten, Schonung der Natur oder so –, sondern vor allem dazu da, ausländische Konkurrenten zu diskriminieren.
Das ist mal ein ehrliches Wort der amerikanischen und europäischen Politiker. Und sollte all denen zu denken geben, die ihre eigene gewählte Führung schon deswegen für nicht schlecht halten – vergleichsweise nämlich, weil sie die amerikanische Art der Salmonellenbekämpfung in Hühnerkadavern für den menschlichen Verzehr bislang nicht zugelassen hat. TTIP-Politiker legen offen, dass alle politische Volksfürsorge, von Vorschriften zur Unfallverhütung bis zur Buchpreisbindung, seit jeher unter dem einen großen Vorbehalt steht und mittlerweile nur im Sinne der einen großen Staatsaufgabe in die Tat umgesetzt wird: Das nationale Geschäft muss sich lohnen. Oder genauer: Alle Geschäftemacherei muss sich nicht nur für die lohnen, die es machen, sondern auch für die Staatsgewalt, die darauf aufpasst. Deswegen passt jeder Staat auch darauf auf, dass die weltweite Geschäftemacherei sich für die Unternehmen lohnt, die mit ihrer Bereicherung ihm national nutzen.
Das muss doch wohl für alle, die von den lohnenden Geschäften gar nichts haben, ein guter Grund sein, dafür zu sein!
Womit wir beim letzten und ehrlichsten aller Versprechungen der TTIP-Politiker wären:
„TTIP setzt Geschäftsbedingungen für den Rest der Welt!“ Für – genauer gegen - die Chinesen vor allem, und zwar bevor die Volksrepublik, die kommunistische, zusammen mit Russland, Indien, Brasilien, Südafrika... – „uns“ die Bedingungen serviert, nach denen kapitalistische Unternehmer auf dem Weltmarkt Geld verdienen können. Welche Bedingungen das dann sein könnten, spielt gar keine Rolle – und schon gar nicht der Gesichtspunkt, dass der normale Mensch in dem ökonomischen Welttheater, um dessen Geschäftsordnung da so erbittert gestritten wird, nur als Manövriermasse in kapitalistischen Kalkulationen vorkommt. Genau diesen normalen Menschen soll einleuchten, dass es auch für sie entscheidend ist, in welchen Hauptstädten über die Vorschriften entschieden wird, nach denen das weltweit agierende Kapital sein Wachstum betreibt – mit ihnen als lohnabhängigem Menschenmaterial unter Leistungsdruck oder auch ohne sie, wenn es keine lohnende Verwendung für sie hat. Ein herrlicher Grund, dafür zu sein, den die Politiker ihrem wahlberechtigten Volk da offenherzig anbieten: Unsere schöne Welt ist imperialistisch; und deswegen wollen und müssen „wir“ – zusammen mit unseren europäischen und transatlantischen ‚Partnern‘ – die führenden, maßgeblichen Imperialisten bleiben. Auf immer und ewig!
Und dann soll das die Kritik an TTIP sein: Das kann unser Staat nicht wollen?
Viele TTIP-Kritiker glauben keinen Moment lang daran, „die Konzerne“ und deren „Gewinninteressen“, in denen sie den Motor systemischer Schädigungen von Mensch und Umwelt erkennen, könnten aus freien Stücken auf ihre Geschäftspraktiken verzichten; sie gehen davon aus, dass man sie dazu nötigen muss. Sie adressieren ihren Protest deswegen nicht an die lieben Unternehmer, sondern an die Staatsgewalt.
„Standards!“ Der Tatsache, dass die Politik den Umgang mit Mensch und Natur gesetzlich regelt, Grenzwerte für die Belastung mit Schadstoffen festlegt, Verfahren für die Zulassung von Chemikalien und Medikamenten vorschreibt, einen rechtlichen Rahmen für Art und Umfang der betrieblichen Verwendung wie auch für die Freisetzung von Arbeitskräften schafft – all dem entnehmen die Kritiker, dass der Staat die richtige Adresse für ihren Antrag ist. Ihm trauen sie zu, dass er der Profitmacherei Grenzen ziehen kann, dass er also die Macht ist, die über der ökonomischen Macht des Geldes steht. Letzteres stimmt.
Nicht auffallen will ihnen, dass diese Macht es dann aber auch ist, die die privaten Gewinninteressen bis zu ihrer Grenzziehung dazu ermächtigt, die Gesellschaft zum Mittel ihrer Bereicherung zu machen. Die staatliche Reglementierung der unternehmerischen Gewinnansprüche setzt deren rechtlich gesicherte Geltung voraus. Die TTIP-Gegner bemerken an staatlicher Regelungsmacht immer nur die einhegende Seite. Damit missverstehen sie gründlich die maßgeblichen Zwecke, denen all die einschlägigen Vorschriften des Staates dienen. Alle Interventionen in das Geschäft des Kapitals werden von einer Politik bestimmt, die die Macht der kapitalistischen Wirtschaft will und stiftet. Sie kennt die ruinösen Wirkungen der Profitmacherei und schreibt den Kapitalisten deswegen Rücksichtnahmen vor, die sie für den Fortgang der Konkurrenz auf ihrem Standort für nötig hält – und sie nimmt deswegen bei all ihren Regelungen immer Rücksicht auf die Gewinnrechnungen, die ja nicht beschädigt werden, sondern dauerhaft aufgehen sollen.
„Deregulierung!“ Mit diesem Vorwurf fassen TTIP-Kritiker das umfangreiche politische Regelwerk, das der Neujustierung der zwischenstaatlichen Konkurrenz dient, geradezu kontrafaktisch so auf, als würde sich der Staat künftig aus der Wirtschaft heraushalten. Sie sind konfrontiert damit, dass Amerikas und Europas Staaten in Hunderten von Paragraphen um neue Rechtsregeln für den Geschäftsverkehr zwischen ihnen ringen – und weil sie darin die Abkehr von ihrem guten Sinn staatlicher Regeln erblicken, fassen sie den ganzen Verhandlungsprozess als eine einzige Etablierung von Regellosigkeit. Sie sagen in einem Atemzug auf, dass die Konzerne „den Staat raushalten“ und gleichzeitig ihre Interessen „rechtlich verankern“ wollen, ohne zu bemerken, dass diese ‚Verankerung‘ die mächtige Instanz verlangt, die eben diese Interessen rechtsverbindlich und damit auch zum bleibenden Objekt ihrer Beaufsichtigung macht.
Dass Staaten um des erwarteten Zugewinns an Reichtum und Macht willen ihre nationale Entscheidungsfreiheit relativieren und im Prinzip keine anderen Bedingungen für ihren Erfolg mehr kennen wollen als die Konkurrenzfähigkeit ihres Kapitals – ausgerechnet das erscheint diesen Kritikern als Selbstaufgabeder Politik, als eine durch die Politiker herbeigeführte Selbstentmachtung des Staats. Denn den haben sie sich ja als Schutzmacht zurechtkonstruiert gegen die Geschäftsinteressen, die ihr Staat gerade freisetzen will.