Die Demokratie erfreut sich allgemeiner Wertschätzung. “Demokratisch” zu sein, ist das höchste Lob, das hiesigen politischen Verhältnissen erteilt werden kann. “Undemokratisch” ist ein unbefragtes Schimpfwort; so will sich keiner nennen lassen. Als gute Demokratie unterscheidet sich der heutige deutsche Staat von seinem verbrecherischen Vorgänger und von den Verhältnissen in der ehemaligen DDR. Demokratie ist die Form der Herrschaft, die anderen Völkern gelegentlich fehlt, die ihnen unbedingt gebracht werden muß. Wer an den politischen Verhältnissen Kritik übt, die in der Demokratie herrschen, der gerät schnell in den Verdacht, einer Gewaltherrschaft das Wort reden zu wollen. Diese Wertschätzung hat gewisse Eigentümlichkeiten an sich.
Die erste ist:
Wer an der Dem. hochhält, dass sie - wenigstens - nicht Diktatur ist, will keineswegs in Abrede stellen, dass es sich bei der Demokratie um eine Form von Herrschaft handelt. Dabei bedeutet Herrschaft immerhin: Eine Art und Weise, Gewalt auszuüben über Leute und Lebensverhältnisse; Leute zu Sachen zu zwingen, die sie nicht wollen und nicht bestellt haben; sie zu Taten anzuhalten, die sie sich nie selbst ausgesucht hätten.
- Schily: Gewaltmonopol gegen rechte Gewalttäter - findet Beifall auch von links
- härtere Strafen gegen Kampfhundbesitzer und Kinderschänder - aber immer!
- BSE: Staat soll Bauern und Lm-Industrie kontrollieren und bestrafen, die Verbraucher mit seiner Gewalt schützen.
- Krieg, Gewalt nach außen, wenn sie im Namen der Demokratie daherkommt. Bomben auf serbische und irakische Städte gehen in Ordnung, wenn der Bundestag zustimmt und das Bundesverfassungsgericht seinen juristischen Segen gibt. Der Verteidigungsminister ist demokratisch legitimiert und hat damit das Recht und die Freiheit zu entscheiden, wohin deutsche Soldaten gesandt werden.
Also: Demokratie braucht viel Gewalt. Die geht nach allgemeinem Dafürhalten in Ordnung, weil sie zum Wohle des Volkes ausgeübt wird. Das ist die zweite Eigentümlichkeit der allgemeinen Wertschätzung der Demokratie: Dass hierzulande Politik zum Wohle des Volkes gemacht wird, wird nicht damit bewiesen, dass der Staat dafür sorgt, dass es allen Leuten in Deutschland gut geht. Eher im Gegenteil:
Gerade heute bekommt man täglich neue Härten mitgeteilt, die Regierung und Opposition dem Volk bescheren. “Wir” können uns die vielen alten Leute nicht mehr leisten - Rentenreform. Die Löhne in Dt. sind zu hoch. Fürs Kranksein muß mehr bezahlt werden. Die Parteien wetteifern geradezu darum, wer den schärfsten Kurs in Sachen Beschränkung überzogener Ansprüche fährt. Der Beweis für die Volksfreundlichkeit der Politik geht also nicht über deren Inhalt, deren Maßnahmen: Sie geht über die Methode, die Art und Weise, wie bei uns regiert wird, wie diese Maßnahmen zustande kommen und durchgesetzt werden: Eben demokratisch. Wie geht der Beweis?
Der bürgerliche Staat, speziell § 9 Demokratisches Procedere: Wahlen – Parlament – Regierung
und § 10 Bürgerliche Öffentlichkeit – Meinungspluralismus – Toleranz