Veröffentlichen als Kampf gegen Herrschaft und das Zurückschlagen der wirklichen Staatsmacht: Wikileaks gegen die Mächtigen der Welt

Datum
Ort
Bremen
Themenbereich
Rechtsstaat und Demokratie
Veranstalter
Argudiss
Dozent
Gastreferenten der Zeitschrift GegenStandpunkt

 Julian Assange und seine Leute halten ihre „Leaking“-Aktivitäten nicht für ein modernes Robin-Hood-Spiel, mit dem sie die Mächtigen ein wenig ärgern, sondern für einen ernsten Akt der Befreiung von Herrschaft. Wenn sie vertrauliche Regierungsakten oder Unternehmensdokumente ans Licht des Internet zerren, meinen sie, den Machthabern die entscheidende Säule ihrer Herrschaft zu entziehen – die Geheimhaltung von „Herrschaftswissen“ und die Kontrolle des Informationsflusses. Sobald die Texte, Tabellen, Videos im Netz stehen, ist ihr Kampf gegen Herrschaft und Unterdrückung fertig und vorbei: Damit regiere die Öffentlichkeit. So sieht das Wikileaks: Gegen ein Volk, das die Akten lesen kann oder lesen könnte, kann nicht mehr regiert werden. Und wenn Regierungen dann vor allen Augen und erklärtermaßen ihre politischen Anliegen verfolgen, dann kann an denen wohl nichts Schlechtes sein.
Aus einem Teil des veröffentlichten Materials, machen dann andere ihr Stück Kampf um die öffentliche Meinung. Enthüllungsjournalisten decken Fakten auf, die ihnen für Skandale gut sind, prangern Versäumnisse, Missstände, Schuldige an und rufen Zuständige zur Korrektur auf. Manche wollen mit vermeintlich oder wirklich unbekannten hässlichen Fakten die offizielle positive Sicht der Kriege, der sozialen Verhältnisse, der Gesundheits- und Umweltsituation etc. unserer freiheitlichen Heimatländer widerlegen und den Menschen die Augen öffnen. Alle beteuern, nichts als die Fakten sprechen zu lassen, und präsentieren sich als Vorkämpfer einer „objektiv informierten“ Öffentlichkeit. Sie täuschen sich wie ihr Publikum. Die Billigung oder Kritik der Taten der Regierung hängt nicht am neuen Faktum, sondern daran, wie es erklärt und verstanden wird.
Gegen den populären Kampf um Information und Informationsfreiheit, der im Internet eine endgültig befreite Community wachsen sieht, gibt es zweierlei klarzustellen. Moderne Herrschaft besteht in etwas mehr als der über die Köpfe. Und auch letztere funktioniert nicht darüber, dass Informationen unterdrückt und Bürger über die Vorhaben und Taten der Regierung im Dunkeln gelassen werden. Das ist gerade die Stärke der kapitalistischen Demokratie, dass sie auch die Öffentlichkeit dazu benutzt, um die Regierten auf die Staatsräson und ihre aktuellen Konsequenzen zu verpflichten.
Das schließt nicht aus, sondern ein, dass es Regierungen überhaupt nicht egal ist, was von ihrer Politik bekannt wird und welche „Informationen“ über sie die Öffentlichkeit beschäftigen. Was Öffentlichkeit von Staats wegen ist, darüber ist der Politik gegen Wikileaks Einiges zu entnehmen. Und vor allem dem Vorgehen der USA ist noch eines zu entnehmen: dass politische Herrschaft noch über etwas andere Mittel als „Informationspolitik“ gebietet. Was übrigens nicht verschwiegen wird.

1. Was will WikiLeaks: Veröffentlichen als politisches Programm. Offentlichkeit: hohes Selbstverständnis und profane Wahrheit
2.WikiLeaks: Vereinseitigung und Radikalisierung des falschen Selbstverständnisses der Öffentlichkeit
3. Internet-Community, Linkes Wunschdenken: Gegenöffentlichkeit
4. Diskussion zu Öffentlichkeit
5. Warum bekämpfen Regierungen WikiLeaks als Staatfeind

Weitere Publikationen zum Thema von argudiss oder von anderen:

Die bürgerliche Öffentlichkeit und ihre modernen Wurmfortsätze WikiLeaks und die anderen – Herrschaft einfach weginformiert in GegenStandpunkt 1-11

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