Deutschland, die EU und die USA tragen mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland eine Konfrontation aus, die Merkel und Obama selbst mit Krieg vergleichen, indem sie beteuern, sie wollten weder auf einen neuen „kalten Krieg“ noch eine „militärische Lösung“ hinaus. Wenn Merkel Russland „inakzeptablen Einsatz von Macht“ in der Ukraineauseinandersetzung vorwirft und Obama das bestrafen will, machen sie klar, warum sie ihr eigenes Vorgehen für etwas wie Krieg halten: Russlands Gebrauch von Macht und seine Macht als solche sind es, was der Westen „nicht hinnehmen“ will.
Zu einer Machtfrage mit Russland haben die EU und die USA ihre Politik vorangetrieben, die die Ukraine dem Westen zuordnen will und Russlands Ansprüche damit bestreitet. Dagegen beharrt Russland auf seinen „vitalen Interessen“ an der Ukraine, annektiert die Krim und kämpft um mindestens einen neutralen Pufferstaat zum Machtbereich der NATO. Die Regierungen der USA und Europas nehmen Russlands Beharren auf „Einfluss“ als grundsätzlichen Angriff auf sich. Und ebenso grundsätzlich, wie sie Russland verurteilen, antworten sie auch: Mit einem umfassenden Programm zur Schädigung der russischen Macht.
EU und USA beschließen Wirtschaftssanktionen mit Eskalationsstufen und weisen ihnen ausdrücklich die Aufgabe zu, Russland so zu schädigen, dass es seine Ansprüche aufgibt. Russland den Einkauf benötigter Waren auf dem Weltmarkt verwehren, russische Vermögen auf westlichen Konten beschlagnahmen, vereinbarte Kapitalinvestitionen in Russland abbrechen, Russland schrittweise vom westlichen Geld- und Kreditverkehr ausschließen: alle diese Sanktionen sollen die ökonomischen Grundlagen der russischen Macht dezimieren; und sie sollen der Staatsführung die Lehre erteilen, dass sie sich machtvolle Einsprüche gegen die USA und die EU nicht leisten kann. Der Westen setzt also die Wirtschaft als Waffe ein und führt einen Wirtschaftskrieg. Die wirtschaftlichen Kampfmaßnahmen sollen, wie Obama sich ausdrückt, die Wirtschafts- und Militärmacht Russland, die noch in internationalen Gremien als Mit-Aufsichtsmacht der Weltordnung agiert, auf Rang und Gewicht einer „Regionalmacht“ zurückwerfen, die sich ihre Rechte von außen zuweisen lässt.
Wirtschaftssanktionen gelten den einen als besonnen: „Besser sie kappen Wirtschaftsbeziehungen, als dass sie schießen!“ Andere beklagen die Schäden, die dieses Vorgehen an der europäischen Wirtschaft anrichtet, und mahnen Zurückhaltung an. Kein bisschen denkt die öffentliche Meinung darüber nach, dass hier die Wirtschaftsbeziehungen – sonst der zivile Inhalt, für manche auch die geschätzte Garantie des friedlichen Verkehrs zwischen den Staaten – nun als zerstörerische Machtund Kampfinstrumente zum Einsatz kommen – in der Hand der westlichen Staaten, die allen Nationen gegenüber als Garanten der weltweiten freien Geschäftemacherei agieren.
Dabei könnte besonders zu denken geben, dass Merkel und Obama das Vorgehen gegen Russland zu einem Fall für Grundsätzliches erklären: Russland habe „Regeln der Staatenordnung“ verletzt, und bekomme nun die „Stärke des Rechts“ spüren.
Was sind das für Auskünfte über den „freien und friedlichen Weltmarkt“? Was ist das für ein wirtschaftlicher Verkehr zwischen „offenen Volkswirtschaften“, wenn über ihn der Handel mit Waren, Geld und Kapital zum Hebel wird, die Grundlage von Nationen anzugreifen?
Was ist das für eine „internationale wirtschaftliche Kooperation“, in der Staaten Machthebel gegen andere zielstrebig ansammeln und diese einsetzen, um bei konkurrierenden Nationen genau das – einen Zugewinn an Machtmitteln - zu unterbinden?
Was ist das für eine „Ordnung der Weltwirtschaft“, in der die EU-Staaten und die USA sich das Recht geben, solche Machtfragen zu entscheiden?
Wirtschaftskrieg gegen ein Russland, das sich aus seinem „nahen Ausland“ nicht verdrängen lässt, GegenStandpunkt 3-14
Imperialismus heute
Weltmarkt und Weltmacht - Von der globalisierten Zivilgesellschaft und ihrer antiterroristischen Kriegskultur, GegenStandpunkt 3-2006