Schon wieder Krieg im Nahen Osten: Israel bombardiert den Libanon und Gaza. Das grenzenlose Sicherheitsbedürfnis Israels und sein Nutzen für die amerikanische Kontrolle der Welt.

Datum
Ort
Nürnberg
Themenbereich
Staatenkonkurrenz und Imperialismus
Veranstalter
Sozialistische Gruppe
Dozent
Gastreferenten der Zeitschrift GegenStandpunkt

Schon wieder Krieg im Nahen Osten: Israel bombardiert den Libanon und Gaza

Das grenzenlose Sicherheitsbedürfnis Israels und sein Nutzen für die amerikanische Kontrolle der Welt

Auslöser ist diesmal die Gefangennahme von 3 in Gaza und im umstrittenen Grenzgebiet zum Libanon operierenden Soldaten der israelischen Armee durch die palästinensische Widerstands gruppe Hamas und die libanesische Hisbollah, sowie der sporadische Beschuss israelischen Staatsgebiets durch diese militanten Gegner mit ungelenkten Kleinraketen. Diese Akte kriegerischen Widerstands gegen die Abschnürung des geräumten Gazastreifens, gegen die fortwährende israelische Besetzung der 1967 eroberten Gebiete und gegen die Unterdrückung der dort lebenden Bevölkerung, nimmt Israel zum Anlass, anderes und weit mehr zu erledigen, als die Befreiung der Gefangenen und die Beendigung der Raketenangriffe. Es antwortet mit einem 4 Wochen dauernden Bombardement und einem massiven Einmarsch in den Süden des Libanon, sowie mit einem unter diesen Umständen von der Welt kaum mehr beachteten Verhaftungs und Liquidierungsfeldzug gegen die Hamas in Gaza, die sich gerade in Wahlen als politische Vertretung der Palästinenser durchgesetzt hatte.

Den Krieg führt Israel unter dem Rechtstitel der "legitimen Selbstverteidigung". Dieser Titel auf gerechten, vom Völkerrecht gedeckten Krieg wird Israel von der westlichen Welt – vor allem von den USA und Deutschland – auch rundherum zugestanden, ganz und gar nicht den palästinen sischen Widerstandsgruppen, die ebenfalls auf legitime Selbstverteidigung gegen Unterdrückung und Besetzung durch eine fremde Macht plädieren.

Das Äußerste an Kritik, das sich der Judenstaat z B. aus Deutschland dafür einfängt, dass er – nach eigenen Auskünften – "den Libanon um 20 Jahre zurückbombt", ist die Anmerkung, er sei bei seiner gerechten Selbstverteidigung zu weit gegangen und habe die gebotene "Verhältnis mäßigkeit der Mittel" verletzt. Solche Mäkelei ist verlogen und dumm zugleich: Man billigt das Kriegsziel staatlicher Selbstverteidigung, ohne recht zu wissen, was es genau bedeutet, und missbilligt die Zahl der Leichen und den Grad der Verwüstung, die seine Verfolgung kostet, – anstatt sich Rechenschaft darüber abzulegen, worin das ehrenwerte Kriegsziel wirklich besteht, für das die Mittel und Leichen durchaus verhältnismäßig sind.

So schwer ist das ja nicht: Israel lässt sich Widerstand gegen seine militante Staatsgründung nicht bieten. Nach der ursprünglichen Landnahme des von anderen Volksgruppen bewohnten und anderen politischen Mächten beherrschten Terrains, nach mehreren Kriegen gegen alle umgeben den Staaten, die sich von der neuen Macht verdrängt sahen, sind nur mehr nichtstaatliche Widerstandsgruppen verblieben, die nicht bereit sind, ihren Frieden mit der noch immer nicht abgeschlossenen israelischen Expansion, mit der Vertreibung und Unterdrückung der dort ansässigen Bevölkerung zu machen, die der Judenstaat auch nicht als Teil seines Staatsvolks haben will. Die militanten Palästinenser werden, gerade weil sie keinen wirksamen und schon gleich keinen die staatliche Existenz Israels bedrohenden Widerstand zustande bringen, zu Terroristen, zu recht losen Verbrechern erklärt, denen man weder ein politisches Anliegen noch den Status von regulären Kriegsgegner zuerkennt, und die man entsprechend behandelt. Für die Vernichtung des Widerstands nimmt Israel dann auch den ganzen Libanon und die ansonsten kooperationswillige Palästinenserbehörde in Haftung. Sie schaffen es nicht Hamas oder Hisbollah zu entwaffnen – wollen es also nicht ernsthaft genug und werden dafür bestraft, dass sie den im Interesse Israels fälligen Bürgerkrieg scheuen.

Es wäre also nicht so schwer, zur Kenntnis zu nehmen, was "Selbstverteidigung" heißt, wenn eine staatliche Hoheit diesen Titel in Anspruch nimmt: Der Staat opfert nicht wenig jüdisches und selbstverständlich noch viel mehr nichtj üdisches Leben, wenn er für seine Sicherheit sorgt und die politischen Kräfte vernichtet, die sich gegen seine Landnahme stellen, wenn er alle Staaten in der Nachbarschaft davon abschreckt, gegen Israel noch unbefriedigte Rechtsansprüche hochzuhalten oder den verbliebenen Widerstandsgruppen Deckung, Rückzugsräume oder Waffenhilfe zukommen zu lassen. Die Sicherheit Israels ist erst gewährleistet, der Frieden, den diese regionale militärische Supermacht schafft, ist erst fertig, wenn ihm die ganze Region unterworfen ist, wenn nichts mehr gilt als israelische Ansprüche, solche auf territoriale Expansion wie solche auf die Botmäßigkeit der Palästinenser und aller Nachbarstaaten.

Israel reklamiert für sich eine Sonderstellung in der Staatenwelt. Mit dem moralischen Hammer "Holocaust" nimmt es ein besonders unverletzliches Recht auf nationale Sicherheit in Anspruch und verlangt von aller Welt, es anzuerkennen und sich in seinen Dienst zustellen: Eben um den Überlebenden der Shoa eine sichere Heimstatt zu bieten. So ungewöhnlich ist, was Israel treibt, in der Welt der Staaten aber gar nicht. Grenzen lassen sich auch andere nur gefallen, wenn und weil sie müssen, und auf Kompromisse mit Ansprüchen, die andere Staaten für ihr Recht halten, lassen sich andere auch nur ein, wenn sie deren guten Willen brauchen und nicht erzwingen können. Besonders am jüdischen Staat ist nur, dass seine gewaltsame Landnahme immer noch nicht abgeschlossen ist, er sich also seine Feinde erhält und immer neu schafft – und dass er es nicht nötig hat, mit ihnen einen Frieden zu schließen, der auch ein Moment israelischer Selbstbeschränkung und Bescheidung enthielte. "Land für Frieden", wie es einige Jahre Parole, aber nie wirklich Staatsprogramm war, kommt heute nicht mehr in Frage. Und zwar nicht wegen des Holocaust und einer allgemeinen moralischen Anerkennung eines Sonderrechts der Kinder und Kindeskinder seiner Opfer, sondern weil der israelische Dauerkrieg gegen seine Nachbarn der amerikanischen Revolutionierung des nahös tlichen Staatensystems so wunderbar ins Konzept passt; Waffen und Geld und weltpolitische Rückendeckung also nicht ausgehen.

Die Moral der Wiedergutmachung an den überlebenden Juden tut gerade in Deutschland wieder gute Dienste. Das "Land der Täter" ergreift die Gelegenheit, sich mit Wachdiensten am israelischen Sicherheitsbedürfnis zur militärischen Aufsichtsmacht auch im heiß umkämpften Nahen Osten aufzuschwingen; Deutschland beansprucht weltweit immer mehr "Verantwortung für den Frieden", den andere geben müssen. Und das alles, weil "wir" einmal die Juden ermordet haben? Es lohnt sich, die elende und verlogene Vermischung der Wiedergutmachungsmoral mit den imperialistischen Berechnungen zu entwirren.

Veranstalter: Sozialistische Gruppe

Gesamtaufnahme