PEGIDA - böse und gute Patrioten im Clinch

Datum
Ort
Bremen
Themenbereich
Volk, Nation und Moral
Veranstalter
Argudiss
Dozent
Gastreferenten der Zeitschrift GegenStandpunkt

Im vorweihnachtlichen Deutschland und ab da regelmäßig lassen sich null Komma nichts Zehntausende „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ mobilisieren. Im eher atheistischen Dresden und anderswo bekennen sie sich mit dem massenhaften Absingen von Weihnachtsliedern zur christlichen Leitkultur und „wehren den Anfängen“ - der Ausbreitung der falschen Religion oder gleich der Machtübernahme durch Imame und Scharia-Gerichte. Was geht diesen Leuten eigentlich verloren, wenn Ausländer - wie sie auch - ihre Arbeit tun, wohnen, leben und dabei nicht an den christlichen Gott glauben, sondern zu Allah beten?

Zitiert werden Unzufriedenheiten aller, auch der handfesten Art - um daraus die ebenso absurde wie bösartige Diagnose zu verfertigen: Ihr Vaterland verweigert ihnen ihr Anrecht auf staatliche Fürsorge, wenn der Staat „es den Ausländern reinschiebt“. Man möchte diese Leute fast fragen: Glauben sie wirklich, dass die Hartz IV-Reformen, mit denen sich Millionen im Billiglohnsektor wiederfinden, von Flüchtlingen oder für Flüchtlinge gemacht sind? Glauben sie wirklich, dass ihnen ihre Nation irgend etwas erspart, wenn die Fremden „konsequent abgeschoben“ werden - außer den Fremden eben? Beschädigt ist offenbar ein Gut höherer Art: Da können die Fremden noch so armselig leben - solange sie überhaupt hier leben, werden die Deutschen um ihr Vorrecht auf ihr Vaterland betrogen und das Volk ist daheim nicht mehr daheim.

Die politischen Parteien sind aufgescheucht: Da meldet sich ein Massenbedürfnis, das sich im Spektrum der politischen Angebote nicht untergebracht und durch Wahlen nicht bedient findet, also das den Verwaltern des Volkswillens aus dem Ruder zu laufen droht. Die obige Frage stellen Politprofis daher gleich ein wenig anders und respektvoller: Über den Streit, ob sie die Demonstranten in die rechte Ecke stellen und aus dem Kreis respektabler Meinungen ausgrenzen, oder sie als Fälle „irrationaler Phobien“ (Xenophobie, Islamophobie etc.) abtun sollen, arbeiten sie sich zur dritten Option vor: Um „die Menschen“ wieder einzufangen und sie von ihren zwielichtigen Anführern zu trennen, wollen Politiker die „Sorgen der Demonstranten ernst nehmen“. Eine Schwierigkeit, die Angst vor Islamisierung ernst zu nehmen, kennen sie nicht. Politiker und Medien wälzen zwar die Rätselfrage: „Was wollen die Pegida-Anhänger wirklich?“ Im Grunde aber wissen sie immer schon die Antwort: Schnurstracks übersetzen sich die politischen Volksbetreuer die demonstrierte Islamophobie in „soziale Bedrohungsängste von Modernisierungsverlierern“, „Globalisierungsgegnern“ und „Euroskeptikern“. Ihrem fachkundigen Urteil zufolge leiden solche Leute an der „Unübersichtlichkeit“ der Weltlage, am Verlust konservativer Werte, ja der Heimat. Der verrückte Übergang von Unzufriedenheit aller Art zur Diagnose der Überfremdung und dem Bedürfnis, die „nationale Identität“ zu verteidigen, ist den Politikern ebenso geläufig wie den Pegida-Demonstranten. Irgendwie verstehen sie ihre Wähler und sehen sich gefordert, ausgerechnet dieses ehrenwerte Bedürfnis ihrer Kundschaft ernst zu nehmen - z.B. durch eine Debatte, ob ihre Asylpolitik ausreichend dafür sorgt, den „Flüchtlingsstrom“ nach Deutschland einzudämmen, unerwünschte Asylsuchende möglichst umgehend loszuwerden und von vornherein abzuschrecken und ob ihre Einwanderungspolitik auch garantiert nur Ausländer ins Land holt, die sich durch nützliche Dienste für Deutschland ein Bleiberecht verdienen.

Die Gegendemonstranten mit ihren Lichterketten und gemeinschaftlichem Lärmen halten die fremdenfeindliche Bewegung aus der Mitte der Gesellschaft für eine Schande. Sie haben eine andere Vorstellung von dem Gemeinwesen, dem sie angehören, und machen sich mit ihrem Fremdschämen zu Repräsentanten eines besseren, weltoffenen und humanen Deutschland, eines menschenfreundlichen Leipzig, Dresden, ..., das Zuwanderer und Hilfsbedürftige nicht ausgrenzt. Dem „christlichen Abendland“ setzen sie demonstrativ den Ruf nach wahrhaft christlicher oder sonst wie weltoffener Mitmenschlichkeit und Solidarität entgegen, möchten diese Werte für Deutschland und seine Bürger verbindlich machen und „ihre Stadt“ als Hort eines solchen besseren Patriotismus hochhalten - im Verein mit Politik- und Parteivertretern, die wählerwirksam die gute Gesinnungdemonstrieren, die ihre praktisch betriebene Asyl- und Ausländerpolitik jeder Kritik entziehen soll.

Drei Fragen wirft diese immer wieder aufflammende nationale Erregung auf:

• Wie kommen deutsche Bürger, die mit einigem zurechtkommen und manches Unerfreuliche schlucken müssen, also unzufrieden mit ihren Lebensumständen sind, auf die Diagnose, dass all ihre Miseren daran liegen, dass sich zu viele Fremde in Deutschland tummeln, dass das gute deutsche arbeitsame Volk daheim nicht mehr daheim ist und seine nationale Identität nichts mehr gilt? Wieso kommen sie eigentlich darauf, die Politik ließe es - ausgerechnet in Sachen Asyl- und Ausländerfragen und überhaupt - an entschiedenem Durchgreifen fehlen, vermissen ausgerechnet einen starken Staat und werden ausgerechnet darüber rebellisch gegen die Regierenden?

• Warum verurteilen die Politiker den Protest der Pegida und grenzen ihn aus, haben aber zugleich für dessen Anliegen Verständnis und entnehmen ihm entsprechend dringlichen Handlungsbedarf in Sachen Ausländerpolitik?

• Was ist von einer Kritik zu halten, die Pegida alternative Werte und Pflichten entgegenhält, die sich für gute Deutsche viel besser ziemen würden? Geht es eigentlich in Ordnung, als Repräsentant eines vorgestellten besseren Deutschlands demonstrativ für die Güte eines Gemeinwesens einzutreten, das mit all seinen politischen Berechnungen und Maßnahmen und den gültigen ökonomischen Interessen dem vorstellig gemachten Bild einer guten, für alle wohnlichen Heimat laufend Hohn spricht?

Die Diskussion soll Antworten hierzu liefern.

Teilaufnahmen
Gesamtaufnahme