Seit einem halben Jahr bestimmt wieder die Weltfinanzkrise die Tagesordnung der Weltpolitik. Tag täglich werden die Bürger von Presse und Fernsehen mit dem Tun und Treiben derer behelligt, die Finanzmärkte heißen und ihr Geschäft mit der Spekulation auf Finanztitel machen. Man erfährt, dass da gegen die Staatsanleihen europäischer Staaten spekuliert und ein Staat nach dem anderen an den Rand des Bankrotts getrieben wird; man wird mit den Aktivitäten von Ratingagenturen vertraut gemacht, die die Schuldtitel der USA herabstufen und damit eine Panik an den Börsen auslösen. Und man wird mit den Anstrengungen der Regierungen bekannt gemacht, mit denen sie die negativen Wirkungen dieses Treibens auf die Staatsfinanzen und auf das Geld der Nationen in den Griff bekommen wollen.
Bei jeder Rettungsaktion, mit der die Regierungen die Märkte zu beruhigen und das Kreditsystem zu sichern suchen, kommt die bange Frage auf: „Klappt das?“. Hinterher darf dann wieder geunkt werden, dass das wohl wieder nicht reicht... So werden die Bürger, die weder an der Börse spekulieren noch ein Regierungsamt inne haben, an diesen Sorgen beteiligt, als wären es die eigenen. Ganz selbstverständlich geht jeder davon aus, dass „der kleine Mann“ von allem betroffen ist, was an den Börsen und in den Regierungssitzen getrieben wird. Dass das Geld, das er verdient und mit dem er zurechtzukommen hat, allemal in Mitleidenschaft gezogen ist, wenn die Geschäfte des Finanzkapitals schlecht gehen: Davon geht jeder aus, als wäre es eine Naturtatsache. Warum das so ist, erfährt man zwar nicht so genau; aber die Botschaft kommt noch allemal rüber: Dass man als „kleiner Mann“ im Grunde nur abwarten kann, auf jeden Fall aber seine Hoffnung darauf setzen soll, dass die wirklichen Herren des Geldes ihre Sache gut machen.
Die Sorge normaler Bürger darum, ob die Obrigkeit auch ihr Bestes tut, um „unseren Euro“ zu retten, ist ziemlich verkehrt. Sie sieht nämlich geflissentlich darüber hinweg, was dieses „Beste“ eigentlich ist, was die Regierungen zur Bewältigung der Finanzkrise unternehmen:
Ein Lehrstück über die politische Ökonomie des Kapitalismus - und über das Staatsprogramm der Herrschaft, die diese Produktionsweise betreut.
• Was ist los, wenn europäische Politiker sich zusammensetzen, um einen Rettungsschirm für den Euro zu basteln, und dabei unbedingt die großen Finanzinstitute mit im Boot haben wollen – und zwar freiwillig? Offensichtlich ist den hohen Herren von der Politik sehr viel daran gelegen, dass ihre Maßnahmen zur Krisenbewältigung bei genau den Banken gut ankommen, die sie an anderer Stelle publikumswirksam als Spekulanten beschimpfen. Offensichtlich ist das die oberste Leitlinie der Politik: Dass alles, was sie tut, um den Kredit zu sichern, auch zu den geschäftlichen Berechnungen derer passt, die das Unheil an den Märkten gerade anstellen.
• Was ist los, wenn Merkel und Sarkozy sich treffen, um über eine neue europäische Wirtschaftsregierung zu sprechen – und dabei verkünden, man wolle von Seiten der Politik alles Nötige tun, um das „Vertrauen der Märkte“ wieder zu gewinnen?
Dann geben die politischen Herren zu Protokoll, worauf ihre Rettungsmaßnahmen zielen: Darauf, dass das Interesse der Staaten an einem starken Euro und die geschäftlichen Berechnungen der Kreditwirtschaft wieder zueinander finden. Dann ist offenbar die Welt wieder in Ordnung! Haben Kritiker recht, die der organisierten Verbeugung der Politik vor den Kalkulationen der Finanzmärkte entnehmen wollen, dass sich die Politik hier über den Tisch ziehen lasse? Oder ist es tatsächlich so, dass Reichtum und Macht der Nationen mit dem Gelingen des Geschäfts der Finanzer steht und fällt?
• Was ist los, wenn für die Regierenden bombenfest steht, dass die Finanzmärkte allemal richtig liegen, wenn sie den Schuldtiteln von Staaten das Misstrauen aussprechen? Egal, wofür ein Staat Kredit genommen und ausgegeben hat; egal, ob sein Haushalt gestern noch als solide galt, wenn die Finanzhäuser ihm den Kredit entziehen, dann gilt: Da hat die Nation über ihre Verhältnisse gelebt. Dann heißt die oberste politische Richtlinie für alle staatliche Politik: Der Kreditwirtschaft muss bewiesen werden, dass ab sofort in diesem Land solide gewirtschaftet wird. Dann muss gespart werden; und das geht allemal auf Kosten derer, die von Lohn und Rente leben müssen. An Griechenland machen sie es vor, Portugal, Spanien, Irland, Italien... ziehen nach: Zwecks Krisenbewältigung verordnen die politischen Herren ihren Völkern ein gnadenloses Verarmungsprogramm.
• Und was ist los, wenn die politische Herrschaft, die so auf die Freiwilligkeit „der Märkte“ aus ist, bei der Durchsetzung dieses Programms gegen die Leute weniger Wert auf Freiwilligkeit liegt? Da gilt: Die Volksmassen haben sich dem neuen Elendsniveau zu fügen, das Politik für sie in Angebot hat. Streiks, Aufruhr, Demonstrationen sind fehl am Platze, wo es darum geht, den Kredit der Nation zu retten: Das ist die Lehre aus der Krise, die die politischen Führer ihren Völkern unmissverständlich beibringen.
Die Sorge, ob solche radikalen Sparprogramme wirklich aus der Krise führen, sollte man also tunlichst den Experten überlassen. Und sich stattdessen unvoreingenommen ein wenig Klarheit verschaffen über die Gründe der Krise – und die Zwecke und Absichten derer, die ihre ganze Macht zur Rettung ihres kapitalistischen System zum Einsatz bringen.
Weitere Publikationen zum Thema:
Argumente zur Finanzkrise finden sich im Archiv des GegenStandpunkt-Verlages