Dummheit - Vom berechnenden Gebrauch der Intelligenz

Datum
Ort
München
Themenbereich
Volk, Nation und Moral
Dozent
Dr. Karl Held

Auszug aus dem zugehörigen Artikel in MSZ 12-85 beim GegenStandpunkt-Verlag (zum Artikel):

Sofern in der bürgerlichen Gesellschaft einmal die Rede von ihr ist, dann geht es gegen die Individuen, an denen sie einer entdeckt haben will. Sie gilt als Defekt, den man anderen, aber auch sich selbst bescheinigen kann. Von ihrer Schläue überzeugte Zeitgenossen halten sich viel darauf zugute, daß sie genau abzuwägen wissen, unter welchen Umständen sie sich und anderen ihre Diagnose offenbaren. Das hat etwas mit der Endgültigkeit der Diagnose zu tun. Wen man der Dummheit zeiht, den hat man abgeschrieben: Er ist untauglich, sei es für seine eigenen Anliegen, sei es für Dienste, die andere von ihm erwarten. Die Auseinandersetzung mit so einem Menschen lohnt nicht, Besserungsversuche durch Kritik bzw. Hilfe müssen scheitern - und zwar wegen des festgestellten Defekts. Ob als resignierende Selbstbezichtigung oder als Vorwurf ausgesprochen - der Befund "Dummheit" ist ein sehr radikaler. Er verdankt sich der Auffassung, daß es den Dummen an einer Fähigkeit mangeln würde, über die die Gescheiten verfügen. Die Fähigkeit heißt Intelligenz, und die Frage nach ihrem Vorhandensein oder Fehlen ist elitär.

I

Daraus, daß sich Kinder wie Erwachsene des öfteren vertun, wenn sie sich Gedanken über etwas machen und diese mitteilen, geht erst einmal gar nicht hervor, daß ihnen etwas fehlt, was denen eignet, die ihre Fehler bemerkt haben. Die Kritik beruht vielmehr darauf, daß sie derselben Tätigkeit entspringt wie die kritisierte Geistesleistung. Nur wenn sich gar nicht erst die Mühe gemacht wird, den Irrtum verkehrter Gedanken auszumachen, tritt an die Stelle des Versuchs, sie richtigzustellen und als Verstoß gegen das Denken, das sie nun einmal sind, festzuhalten, der gemeine und inhaltslose Befund, ihr Urheber sei des Denkens nicht mächtig. Das Versagen beim Begreifen einer Sache wird dann zur Folge einer Eigenschaft, die ihre Wirkung getan hat und einen guten Grund dafür hergibt, die mit dieser Eigenschaft geschlagenen Behinderten sachgerecht zu verachten.

Dieses Ergebnis, zu dem sich Leute auf allen Stufen der gesellschaftlichen Hierarchie immer wieder hinarbeiten, zeugt nicht nur davon, daß die Dummheit eine weitverbreitete Sache ist. Die bescheuerte Sortierung, die da an Herren wie Knechten gleichermaßen vorgenommen wird, beweist auch die gänzlich un- theoretische Herkunft des Dummheitsbefunds. Offenbar fühlen sich ziemlich viele Leute dazu berufen, zwischen sich und anderen einen Vergleich vorzunehmen und diesen in Form eines Intelligenztests zu veranstalten. Dabei geht es ihnen wie den psychologischen Erfindern gleichnamiger Experimente keineswegs darum, zu erfahren, was Intelligenz ist - sondern jenseits davon um die spannende Frage, wem sie zuzugestehen sei. Interessant scheint den Entdeckungsreisenden in Sachen "Dummheit" weniger der Unsinn zu sein, der um sie herum so vertreten wird; sie schauen lieber auf die Voraussetzungen, die andere nun einmal mitbringen müssen, um ihnen gewachsen zu sein oder es ihnen recht zu machen. Und die Voraussetzungen dafür verwechseln sie sehr selbstbewußt mit dem Vorhandensein von Geist - von einem "Gut", über das wirklich jedermann verfügt, wenngleich ein ziemlich unterschiedlicher Gebrauch davon gemacht zu werden pflegt.

II

Der Maßstab, welcher auf dem Markt der Meinungen und Ideen so zielstrebig angelegt wird, um jedermann vom Kanzler bis zum Arbeitskollegen in eine Skala des geistigen Leistungsvermögens einzuordnen, sichtet die Tauglichkeit. Die Vertreter von banalem wie höherem Ideengut werden daraufhin begutachtet, ob ihre Auffassungen geeignet sind für die Erledigung der ihnen zufallenden Aufgaben und das Zurechtkommen mit ihnen. Geprüft werden nicht Gedanken, sondern ihr Verhältnis zum Erfolg, was gar nicht so einfach ist......

Gliederung des Vortrages:

Teil 1: Dummheit: Kein Mangel an Verstand, sondern sein falscher Gebrauch

Teil 2-4: Anwendung des Prinzips in Wissenschaft, Sport und Kultur

Teil 5: Vom Klassencharakter einer klassenübergreifenden Unart

Gesamtaufnahme