Die NATO bombardiert Libyen – Warum?

Datum
Ort
Nürnberg
Themenbereich
Staatenkonkurrenz und Imperialismus
Veranstalter
Sozialistische Gruppe
Dozent
Gastreferenten der Zeitschrift GegenStandpunkt

Die offizielle Begründung lautet: der libysche Staatschef Gaddafi massakriert sein Volk. Jedem ist sofort klar: Das darf der nicht. Zivilisierte europäische Staatschefs können nicht zulassen, dass ein nordafrikanischer Potentat Bomben wirft und Menschen tötet, da müssen sie schleunigst hin und selbst Bomben werfen, natürlich um Menschenleben zu retten. Die Leichen, die bei ihrer Rettungsaktion selbstverständlich anfallen, zählen entweder zu den Bösen, denen es recht geschieht, oder sie fallen unter Kollateralschäden an Unschuldigen, die halt nicht zu vermeiden sind, wenn Bomberflotten die Freiheit bringen.

Gegen einen Verrückten wie Gaddafi ist – um der Menschlichkeit willen – eben alles erlaubt: Der hat nichts anderes im Sinn als sein Volk auszulöschen – will er etwa, wenn alle tot sind, ganz alleine in seiner Wüste auf dem Öl sitzen? So absurde Zielsetzungen lasten die kriegführenden Nato-Staaten und ihre Medien der libyschen Führung an, die einen bewaffneten Aufstand bekämpft: Gaddafi will siegen und die von ihm geschaffene öffentliche Ordnung wieder herstellen. Dieses Ziel sollte Machtmenschen wie Sarkozy und Kollegen weder verrückt noch verbrecherisch vorkommen: Sie selbst bestehen doch bei jeder Regung von Unwillen im Volk darauf, dass der Staat sich den Forderungen „der Straße“ nicht beugen darf. Und wenn sie in den Banlieues um Paris die Aufstände randalierender Jungendlicher niederschlagen oder in Deutschland Jahr für Jahr den fälligen Castor-Transport durchkämpfen, dann produzieren sie nur deshalb kaum je Tote, weil ihre Polizei so sehr viel besser auf Aufstandsbekämpfung vorbereitet und dafür ausgerüstet ist als die libysche Armee, und weil sie keine bewaffneten Kämpfer, sondern doch bloß verwahrloste Jugendliche und demonstrierende Demokraten in Schach zu halten haben.

Inzwischen sind, wie in jedem Krieg, die ursprünglichen Rechtfertigungen ganz egal. Solange die aus der Luft bekämpften libyschen Truppen nicht kapitulieren, beweisen alle Akte ihres Widerstands gegen die Koalition der europäischen Eindringlinge ihr Unrecht, und alle Leichen, die durch Kriegshandlungen anfallen, beweisen die Unmenschlichkeit des Feindes. Die Sache selbst ist kein Rätsel: Frankreich und Großbritannien betreiben – wie sonst die USA – Regime-Change im nordafrikanischen Raum, den sie als Zone ihrer Vormacht beanspruchen. Primitiver Imperialismus eben.

Erklärungsbedürftig allerdings ist die Art und Weise, wie in der heutigen Welt das Ringen um Einflusszonen und Vormacht aussieht. Da geht man erst zur UNO und drängt wochenlang darauf, endlich die Erlaubnis zum Schießen vom Sicherheitsrat konzidiert zu bekommen. Sobald die entscheidende amerikanische US-Macht umschwenkt und das Plazet gibt, schmiedet man mit ihr eine Koalition der Willigen.

Im sofort darauf begonnenen Krieg leisten die USA mit ihrer Überlegenheit den wichtigsten Teil des Zerstörungswerks: Sie vernichten Luftabwehr und Luftwaffe des angegriffenen Staates und überlassen den im Prinzip wehrlos gemachten Gegner den Briten und Franzosen. Für ihre Dienste verlangen die hilfreichen Amerikaner freilich, dass die europäischen Kriegstreiber ihr Projekt unter das Dach der Nato stellen. Die aber will gar nicht. Deutschland vor allem, Frankreichs engster weltpolitischer Partner und selbst eine bedeutende Militärmacht im Bündnis, hält von der ganzen Sache nichts und verweigert sogar die weltpolitische Legitimierung des Krieges im Sicherheitsrat. Die Nato, die dann doch will, ist aber nicht bereit, die Aufständischen zum Sieg zu bomben, sondern will nur die Zivilbevölkerung vor Angriffen mit schweren Waffen schützen – womöglich sogar gegen beide libyschen Kriegsparteien. Mitte April macht der Krieg den Briten und Franzosen dann tatsächlich einige Schwierigkeiten, die freilich am wenigsten von Gaddafi und seiner Armee herrühren. Der Kampf der großen Mächte untereinander ist im Krieg gegen Gaddafi die Hauptsache.

Veranstalter: Sozialistische Gruppe

weitere Aufnahmen der Sozialistischen Gruppe

Weitere Publikationen zum Thema:

Krieg in Libyen Regime-Change durch die NATO – Streitfall für die Weltaufsichtmächte im GegenStandpunkt 2-11.

Gaddafis Verzicht auf Massenvernichtungswaffen Noch ein „Dritter Weg“ am Ende im GegenStandpunkt 1-04.

 

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