Die Ausländerfrage hat wieder Hochkonjunktur: Seit der Botschaft von Thilo Sarrazin, dass Deutschland sich abschafft, wenn es arbeitslosen Ausländern erlaubt, mit Sozialhilfe zu überleben und auch noch Kinder zu haben; und seit den Wahlsiegen von islam- und ausländerfeindlichen Parteien in den Niederlanden, Schweden und Österreich.
In der ebenso bösartigen wie verlogenen Debatte um Zuwanderung und Integration werden die Einheimischen als die Hausherren im deutschen Haus angesprochen, egal ob ihnen in diesem großen Haus sehr viel oder auch gar nichts gehört. Gegenüber Migranten ist Hartz-IV-Empfängern und Bankiers, Arbeitnehmern und Arbeitgebern gleichermaßen ein ausgeprägtes Anspruchsdenken gestattet: Ausländer, die „wir“ bei „uns“ leben lassen, haben „uns“ zu nützen. „Wir Deutschen“ sind das Maß für ausländisches Leben hier; die Zugereisten müssen sich als Diener „unseres“ Wohlstands bewähren – oder sie gehören weg.
Über diesen Anspruch herrscht eine ekelhafte Einigkeit zwischen rechts und links, oben und unten. Über das, was deutscher Nutzen heißt, dagegen überhaupt nicht. Der ist für die Regierung etwas anderes als für die Arbeitgeber und nochmal etwas anderes für die lohnabhängige Mehrheit. Die Wirtschaft fordert den weiteren Zuzug von qualifizierten Arbeitskräften, um möglichen zukünftigen Fachkräftemangel zu bekämpfen. Die Obrigkeit will diesen Mangel, der eine Wachstumsbremse werden könnte, gar nicht erst entstehen lassen. Deutsche Arbeitnehmer rechnen anders: Im Ausländer, den ihr Arbeitgeber ganz genauso wie sie als billigen Kostenfaktor und leistungsfähigen Produktionsfaktor seiner Geschäfte beansprucht, sehen sie weniger den Leidensgenossen, auch nicht den nützlichen Diener der deutschen Wirtschaft, sondern mehr den unberechtigten Konkurrenten, der ihr Privileg entwertet, sich als Deutsche exklusiv um den Dienst in deutschen Unternehmen bewerben zu dürfen. „Wir Deutschen“ bestehen gemeinsam darauf, dass die Einwanderer „uns“ dienstbar zu sein haben; „Wir“ haben aber gar kein gemeinsames Interesse, dem „wir“ sie dienstbar machen könnten.
Längst geht es freilich nicht mehr um die Frage: „Wolle mer se reilasse?“ Millionen Landeskinder mit „Migrationshintergrund“ sind schon da. Jetzt heißt es: „Fügen sie sich auch gescheit ein? Passen sie sich unseren maßgeblichen Gebräuchen so an, dass wir ihnen den Ausländer nicht mehr gleich anmerken und sie früher oder später als Volksgenossen akzeptieren können?“ „Uns“ unerträglich ist nicht mehr der Ausländer an sich, sondern der „Integrations-Verweigerer“.
– Was aber haben die Integrations-Pflichtigen zu tun, um es „uns“ recht zu machen? Natürlich erst mal Deutsch lernen, Schulen besuchen, sich am Arbeitsmarkt bewähren, Geld verdienen und dem Sozialstaat nicht zur Last fallen. Aber reicht das? Werden dadurch aus Ausländern gute Deutsche oder nur umso lästigere Konkurrenten der deutschen Bewerber um deutsche Arbeitsplätze?
– Damit sie zu „uns“ passen, müssen sie außer Arbeits- und Erwerbs-Tugenden auch unsere Werte
übernehmen. Das steht fest; gar nicht fest steht, welche Werte das sind. Da bestehen Leute, die weder eine Kirche noch eine Moschee je von innen gesehen haben, darauf, dass das Christentum total, der Islam aber gar nicht zu Deutschland gehört. Bundespräsident Wulff hält dagegen und versucht die Moslems zu weiterer Anpassung zu verführen, indem er vor ihrem Allah den Hut zieht. Ist das Integration? Oder Anbiederung? Wer hat sich eigentlich wem anzupassen?
– Und überhaupt: Kann einer deutsch werden, wenn er es nicht schon ist? Schließlich kann kein Politiker und auch sonst niemand sagen, welche bildungsmäßige, charakterliche, kulturelle Ausstattung sich die Migranten genau zulegen müssen, – und ob es genügt, sich eine solche Ausstattung zuzulegen, um das Ziel der Integration zu erreichen. Fest steht nur eines: Dass „wir“ Integration von den Migranten verlangen können, weil „wir“ das Volk sind, in das die rein sollen.
Der Vortrag will erklären, worin die unerfüllbare Endlos-Forderung nach Integration ihren Grund hat;warum sie zugleich lächerlich blöd und bitter ernst ist; aus welchem Konflikt staatlicher Gesichtspunkte in der Ausländerpolitik sie also hervorgeht.
Veranstalter: Sozialistische Gruppe