Eingeführt wurde der Euro als Fortschrittsmittel für alle Mitgliedsländer, als Wachstumstreiber für ganz Europa und als der entscheidende vorletzte Schritt der immer weiterreichenden Integration der europäischen Völker. Die Bilanz, die die Finanzkrise erzwingt, sieht anders aus: Nicht zuletzt die Einheitswährung mit ihrer globalen Reputation hat eine gigantische Überakkumulation privater und öffentlicher Schulden befördert, die an den Finanzmärkten inzwischen keinen Kredit mehr genießen, also entwertet sind. Und am Wachstum vor der Krise hatten die Mitgliedsländer der Währungsunion keineswegs gleichermaßen Anteil, vielmehr haben sich manche Länder – Deutschland vor allem – in der durch keine Währungsgrenzen mehr behinderten Konkurrenz auf dem Binnenmarkt an ihren Nachbarn und den Schulden bereichert, die die Verlierer akkumuliert haben und nun nicht mehr bedienen können. In der Krise, die den Zusammenhalt ihres Währungsraums und den Wert des Euro gefährdet, machen die betroffenen Nationen – Sieger, wie Verlierer der Konkurrenz – deutlich, dass sie nach wie vor an diesem Standpunkt festhalten: Sie wollen und brauchen das Europa-weite Gemeinschaftsgeld als Mittel ihrer nationalen Bereicherung und nationalen Selbstbehauptung und bestehen darauf, es in diesem Sinn zu nutzen.
Das bringt sie gegeneinander auf: Unter dem großen Wort „Solidarität“ und „Verantwortung für den Euro“ fordert jede Seite von der anderen, sich ihren nationalen Anliegen zur Verfügung zu stellen, und erklärt den Nationalismus der Partner für unverträglich mit dem gemeinsamen Geld. Die Südschiene, die ihren Kredit an den Finanzmärkten verloren hat, fordert vom Norden, besonders von Deutschland, der EZB zu erlauben, unbegrenzt ihre, von den Märkten verschmähten Staatsschuldpapiere aufzukaufen, und so eindeutige Bekenntnisse abzulegen, dass der Euro irreversibel und Versuche, die Kreditwürdigkeit der Mitgliedsländer der Währungsunion gegeneinander auszuspielen, zum Scheitern verurteilt sind. Schließlich übt die EZB die Geldhoheit über den Euroraum aus, sie kann Geld schöpfen und Mitgliedsländer in Nöten zahlungsfähig halten. Das gestatten ihr Deutschland und seine Partner aber nicht – jedenfalls nicht im definitiv Sicherheit stiftenden Maß, denn sie bestehen darauf, dass das Geld, das sie besitzen, ein gutes, wertstabiles, weltweit gesuchtes Geld zu bleiben hat und nicht in Inflationsgefahr gebracht werden darf. Sie verlangen von den Mitgliedsländern, die „über ihre Verhältnisse gelebt haben“, gefälligst zu sparen und ihre Staatshaushalte in Ordnung zu bringen. Sie haben den Aufschwung ihrer Wirtschaft, ihr staatliches Funktionieren und das Lebensniveau ihrer Völker den Anforderungen des europäischen Geldes zu opfern und aufzuhören, eine Belastung für es zu sein. Die Verlierer der europäischen Konkurrenz verlangen von den Siegern, auf den Nutzen ihres Erfolgs zu verzichten, die Sieger muten den Verlierern die direkte Schädigung und ihren Ruin als Nation zu.
So halten beide Seiten an der gemeinsamen Währung und ihrer Union fest – gerade deshalb wird ihnen das Nationalinteresse ihrer Partner umso unerträglicher. Nie am eigenen, um so klarer dafür am Nationalismus der andern erkennen sie, dass sich das Gemeinschaftsgeld mit der Standortkonkurrenz, ja überhaupt mit der 17-fachen Souveränität der Nationalstaaten nicht verträgt, die in ihm wirtschaften. Diese Erkenntnis führt sie aber nicht zur Aufgabe ihres nationalen Konkurrenzstandpunkts und ihrer Souveränität, sondern zu sehr ernst gemeinten Anstrengungen, die anderen Souveräne ihrer Kontrolle und dem von ihnen definierten Europa zu unterwerfen.
So enthält auch die neue Runde der Finanzkrise interessante Aufschlüsse:
- Über das Geld, das die Staaten mit ihrer Hoheit schöpfen. Wenn sein Wert gefährdet ist, sobald Schulden, die in ihm gemacht wurden, nicht mehr bedient werden, dann ist es offenbar überhaupt nur so viel wert, wie diese Schulden für Zinszuwächse, d.h. für kapitalistische Geldvermehrung garantieren: Das moderne Geld kommt für die Benutzung der Gesellschaft für den Profit auf die Welt – und ist gerade so gut, wie dieser Daseinszweck gelingt. Die Kaufkraft noch des letzten Lohnabhängigen hängt davon ab, dass sich für die Kapitalisten seine Ausbeutung lohnt.
- Über die verwegene Kreation einer Währungsunion konkurrierender Nationalstaaten. Sie trennt, was bei nationalen Währungen in Einheit ist: Ihre Geldhoheit haben die Mitglieder aufgegeben, um durch ihre Teilhabe an einem besseren, kreditwürdigen Geld ihr nationales Kapitalwachstum zu beschleunigen. Die Schulden, die sie für die Aufrüstung ihres Standorts machen, bleiben dabei nationale Angelegenheiten und gehen die Partner und das gemeinsame Geld nichts an. Die Krise entlarvt, dass Staatsschulden und der Wert des Geldes gar nicht zu trennen sind. Das heißt aber nicht, dass die EU-Partner in Sachen Schulden wie Geld nun gemeinsame Sache machen. Sie kämpfen darum, den Euro zu erhalten und ihre Konkurrenz gegeneinander auch.
- Über das europäische Friedenswerk. Es ist keine Überwindung des nationalen Egoismus, sondern EU-intern wie gegenüber dem Rest der Welt ein Instrument seiner imperialistischen Betätigung. In der Dauerkrise, in der ökonomischer Fortschritt und Wohlstand für die Mitgliedsländer nicht mehr versprochen wird – beides wird für die Rettung des Euro ja geopfert
– , wird als letztes überzeugendes Argument für die ungeliebte europäische Integration jetzt oft angeführt, dass jeder EU-Staat für sich, auch der größte, einfach viel zu klein ist, um nationale Interessen in einer Welt durchsetzen zu können, in der nur noch die USA und China das Sagen haben.
Veranstalter: Sozialistische Gruppe
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