In Sterben und Tod ist Johannes Paul II. Weltweit ein massenhafter Respekt entgegengebracht worden, der weit über seine katholische Gemeinde hinausreicht. Auch die Mächtigen der Welt haben ihm ihre Referenz erwiesen. Und die Medien, die sonst für sich als kritische Aufklärer werben, haben diese voll breite Eintracht im Geiste nicht nur bemerkt und berichtet, sie haben sie begeistert und bis an die Grenzen ihrer Kapazität propagiert. Ist es wirklich so selbstverständlich, dass „wir“ es einfach „brauchen“, dass eine „moralische Führungspersönlichkeit“ verkündet, wo es lang geht?
Für Katholiken natürlich schon. Sie wollen sich selbst und ihr alltägliches Zurechtkommen unter den Anforderungen des Marktes und Rechtsstaats als Objekte göttlicher Fügung und Führung sehen, letztendlich jedenfalls, auf dass sie alles als ihr „geschenktes Leben“ freudig „annehmen“ und lebenslänglich „demütig tragen“. Weil sie das glauben. Und weil ihr Oberhaupt ihnen das immer wieder verkündet (hat) und dabei „unfehlbar“ ist. Was auch glaubt, wer glaubt.
Aber es waren ja nicht nur Christen zur größten „Wallfahrt im Computerzeitalter“ gestimmt. Die Süddeutsche Zeitung schrieb: „Je stärker sich der Alltag säkularisiert, desto wichtiger werden religiöse Riten, wenn dieser Alltag wankt, wenn das Unerhörte nach Formen der Bewältigung sucht.“ Wer so schreibt, befürchtet kein Leserpublikum, das solchen Mystizismus mitten in der „Wissensgesellschaft“ ablehnt. Sondern er füttert eine Denkungsart, die nicht darüber stolpert, dass sie im Höheren einen Sinn für einen „Alltag“ sucht, in dem sich gute Gründe fürs Mittun offenbar nicht so leicht finden. Fragt sich, was das für eine Geisteshaltung ist und warum sie so verbreitet ist?
So sehr die Verehrung dem Oberhaupt des „Reiches nicht von dieser Welt“ galt, so jenseitig war die Feier dann doch nicht. Der italienische Staat organisierte mit Militär und Polizei das Fest. Die Medien machten mit ihren weltweiten Senderechten aus dem katholischen Totenkult in Rom ein globales Event. Vor allem aber bekam der „moralische Führer“ reichlich Besuch und Unterstützung von den mächtigen Führern weltlicher Reiche. Diesen Herren und Damen, denen Johannes Paul II. „die Leviten gelesen“ hat in ihrer Position als Gebieter über „Kapitalismus“ und „Krieg“, scheint das gar nicht so schlecht bekommen zu sein. Und irgendetwas gefällt ihnen wohl an der zusammengetriebenen „Herde des Herrn“, wenn sie zumindest einen Tag lang so tun, als seien sie auch nur ein Schaf unter anderen.
Noch vor kurzem vermittelte der SPIEGEL zum Anti-Terror-Krieg des Westens ein tieferes Verständnis für die gebildete Leserschaft. Der Islam habe es einfach nicht zu der abendländischen Errungenschaft der Trennung von Staat und Religion als Privatsache gebracht und bedrohe die Menschheit mit seinem fundamentalistischen Streben zum Gottesstaat: „Islam: Allahs blutiges Land“. Jetzt begleitet dasselbe Organ die Pilgerreise der westlichen Staatenlenker nach Rom mit folgender – ganz unironischen - Laienpredigt auf den toten Papst: „Der Papst ist die globalisierte moralische Instanz…Er rief auf, im Menschenstaat den Gottesstaat zu errichten, das Salz der Erde zu sein und das Licht der Welt.“ Es scheint schon sehr darauf anzukommen, wem der religiöse Fundamentalismus zu Diensten ist.
Weitere Publikationen zum Thema von argudiss oder von anderen:
WELTANSCHAUUNG - DIE LOGIK EINES GEISTIGEN BEDÜRFNISSES in MSZ 2-85 beim GegenStandpunkt-Verlag
Vom christlichen Glauben in MSZ 7-84 beim GegenStandpunkt-Verlag
Der Papst in Mexiko: Der Global Prayer schwimmt gegen den Zeitgeist in GegenStandpunkt 1-99
Leichte Enttäuschung nach dem großen Mea Culpa: Das Versäumnis des Papstes in GegenStandpunkt 2-00