Das Menschenrecht ist ein hohes, teures Gut, heißt es. In seinem Namen werden sogar Kriege geführt. Dem Vernehmen nach sollen im Prinzip alle vom Westen in den letzten zehn bis zwanzig Jahren geführten Kriege dazu gedient haben, anderen Völkern das Menschenrecht herbeizubomben. Sofern die das überlebt haben, hatten sie es dann - das Menschenrecht. Umgekehrt bei Staaten, die nicht zum westlichen Club der Menschenrechtsmächte gehören. Wenn die nach innen oder außen zu militärischer Gewalt greifen, kann der an höchsten Gütern geschulte hiesige Beobachter keinerlei Dienst am Menschenrecht entdecken. Warum eigentlich nicht? Wozu taugt das Menschenrecht, das der Westen gepachtet hat?
Wenn westliche Außenpolitiker ihren Amtskollegen aus der restlichen Welt mit dem Menschenrecht kommen, dann befehlen sie nicht immer sofort den Waffengang. Sie verfügen über ein Arsenal an Instrumenten unterhalb der Schwelle zum Krieg. Das reicht von der Ermahnung, es im polizeilichen Umgang mit inneren Protestbewegungen nicht zu übertreiben, über weltöffentliche Anklagen, die auf eine Ächtung von 'Unterdrückerstaaten' zielen, bis hin zu praktischen Maßnahmen wie Sanktionen mit Embargos oder dem Zugriff auf westliche Konten der an den Pranger gestellten Staaten. Augenscheinlich hängen Art und Heftigkeit der Maßnahmen, mit denen der Westen solche Staaten überzieht, gar nicht von den gegeißelten Menschenrechtsverstößen ab. Zwar geht es dem Vernehmen nach immer um sie. Und doch reichen die Konsequenzen von der diplomatischen Verstimmung bis hin zum Krieg. Wieso dies? Wovon dann macht der Westen die Wahl seiner Eingriffsmittel abhängig?
Menschenrechtliche Anklagen aus dem Westen gehen immer an die Adresse von Staaten, die von der Öffentlichkeit als 'Gewaltherrschaften' einsortiert sind. An denen wollen sie entdeckt haben, dass sie gegen ihr Volk regieren und nicht etwa, wie sich das nach dieser Meinung wohl gehört, für es; dass sie ihre Bürger unterdrücken, um an der Macht zu bleiben. Und diese dann auch nur wieder dazu benutzen, sich gegenüber dem Volk zu behaupten. Und für sonst nichts? Macht brauchen sie allein, um ihre Macht zu erhalten?
Exakt anders herum wird die Politik betrachtet, die von den Menschenrechtshochburgen des Freien Westens ausgeht. Die soll sich – je gewalttätiger desto mehr – dem uneigennützigen Dienst an einer Weltordnung verdanken, die für menschenrechtlich einwandfreie Herrschaften überall auf der Welt sorgt. Das nennt sich 'Verantwortung' und braucht nach offizieller Auskunft 'nun einmal' jede Menge Gewalt, um sie gegen die Bösewichter dieser Welt wahrzunehmen. Denn 'Schurken' sind bekanntlich die, die nur die 'Sprache der Gewalt' verstehen. Da trifft es sich prima, dass die wenigen Guten in der Welt der Staaten auch die Starken sind. Oder ist die Reihenfolge vielleicht umgekehrt? Sind die Starken vielleicht deswegen die Guten, weil sie darüber befinden können, wer die bösen Staaten sind?
Kritik an der weltweiten Menschenrechtspolitik des Westens gibt es natürlich auch. Schließlich herrscht bei uns das Menschenrecht auf Meinungsfreiheit. Manche Kritiker bezichtigen die Menschenrechtspolitik sogar der puren Rhetorik und Heuchelei. So beklagen sie z.B., dass Kriege im Namen des Menschenrechts geführt werden, deren wirkliche Zwecke viel profaner seien. Manchmal beschweren sich dieselben Kritiker auch darüber, dass Kriege unterlassen werden, obwohl sie menschenrechtlich doch eigentlich legitim wären. Und manchmal entdecken sie sogar in ihren eigenen Staaten Fälle von Menschenrechtsverletzungen. Aber in keiner der Varianten, so die Politik ihres Staates zu kritisieren, lassen solche Kritiker davon ab, ihn an den moralischen Maßstäben zu messen, die er als die gültigen ausgibt. Selbstredend gehen sie davon aus, dass ihre Herrschaft solche Maßstäbe nur in die Welt setzt, um sich selbst an sie zu halten. Und so kommen sie dann, wenn die Moral der Politik mit dieser so gar nicht in Einklang zu bringen ist, auch gar nicht erst auf die Idee, dieser Differenz einmal systematisch nachzugehen. Sie gehen von dem durch nichts zu erschütternden Vorurteil aus, dass ihre Herrschaft - zumindest eigentlich - gut ist, und dass andere Staaten diesen Bonus erst einmal nicht haben, sondern sich ihn erst verdienen müssen; was gegebenenfalls ein bisschen oder ein bisschen mehr 'Umerziehung' nötig macht. In ihrem unerschütterlichen Glauben, dass die Welt "a wundervoll place" wäre, wenn sich nur die richtigen Obrigkeiten - also ihre Herrschaften - gegen die falschen durchsetzen würden, erinnern sie ihren Staat immer wieder daran, dass er zu den Guten gehört. Das soll es mit der Kritik gewesen sein?
"Das Menschenrecht" in: GegenStandpunkt 2-13.